Mehr Traktion im „Handumdrehen“
So funktioniert es: Der Chauffeur schaltet MAN HydroDrive® manuell per
Drehschalter zu, so dass hydraulische Radnabenmotoren an der Vorderachse für
ein deutlich spürbares Plus an Traktion sorgen. In dieser Betriebsart kann
der Lastwagen bis zu 28 km/h schnell fahren. Bei höheren Geschwindigkeiten
schaltet sich das System automatisch ab, und das Fahrzeug wird wie gewohnt
über die Hinterräder angetrieben. Bleibt die Funktion manuell eingeschaltet,
setzt der Antrieb auf die Vorderräder ab -22 km/h automatisch wieder ein.
Ein typisches Beispiel sind Bausektorfahrzeuge, die zu 90 Prozent auf
asphaltierten Strassen unterwegs sind, weil sie Kies von weit her holen.
Erst beim Abladen auf der Baustelle macht es Sinn, den Antrieb zuzuschalten.
Es ist bereits eine ganze Reihe von MAN-Lastwagen mit HydroDrive® in der
Schweiz unterwegs - und zwar klaglos in den unterschiedlichsten
Transportbereichen.
Wichtige Unterschiede
Das Einsatzgebiet des MAN HydroDrive®-Antriebs unterscheidet sich jedoch
grundlegend von den konventionellen Allradantrieben und ist eher als
praktische Anfahrhilfe zu sehen, die in vielen Fällen aus «dem Dreck» hilft
und so unabhängig macht von Hilfsaktionen Dritter, die alle Beteiligten Zeit
und Geld kosten. Der herkömmliche Allradantrieb mit durchgehender
Vorderachse, Differential, Kardanwelle, Verteilergetriebe und
Geländereduktion offeriert demgegenüber optimale Traktion bis Tempo 80, was
gerade im Schwertransport und beim «Zügeln» gewichtiger Baumaschinen
unumgänglich ist. Vor dem Gesetz ist der HydroDrive® kein „Allradfahrzeug“
und darf demzufolge auch keine höheren Anhängelasten befördern.
Sind beim herkömmlichen Allradantrieb rund 38 Grad Lenkeinschlag normal, so
bringt es ein MAN HydroDrive® auf satte 49 Grad. Der niedrigere Schwerpunkt,
die tiefere Rahmenoberkante und die Gewichtseinsparung von rund 400
Kilogramm (!) sind weitere Vorteile, durch die sich u.a. der
Kraftstoffverbrauch um rund 10 Prozent verringert. Im Fahrbetrieb, so zum
Beispiel auf der Autobahn, verhält sich ein Lastwagen mit MAN HydroDrive®
auch spürbar ruhiger und spurtreuer als ein hoch aufgebauter «Allrader» mit
stets bewegter grosser Masse an der Vorderachse.
Auch für SUV denkbar
Im PW-Sektor hat man seit dem Aufkommen von Allradantrieb so ziemlich
alles durchexerziert, angefangen bei permanentem bis zuschaltbaren 4WD.
Aber stets mit Achs- und Kardanwellen plus Vorder- und
Hinterachsdifferential. Die einfachste und beste Lösung waren manuell
verriegelbare Vorderachsnaben, was aber zwangsläufig mit bestimmten
Manipulationen des Fahrers verbunden war. In unverriegeltem Zustand waren es
„Loseräder“ wie bei Normalautos. Bei Verriegelung drehten Achswelle und
Kardanwelle bis zum Verteilergetriebe mit, wodurch bei jeder Geschwindigkeit
der Antrieb von zwei auf vier Räder zugeschaltet werden konnte.
Dann folgte die idiotischste aller Erfindungen, die automatischen
Freilaufnaben. Beim „Freischaukeln“ eines im Schnee oder Dreck
steckengebliebenen Wagens erfolgte schon sehr bald ein scharfer Knall und
die Freilaufnaben waren hinüber. Danach folgten manuell oder automatisch
zuschaltbare Allradantriebe mit den unterschiedlichsten Zuschaltmechanismen
plus teilweise Zwischendifferentialsperren. Der permanente Allradantrieb,
das bewährteste aller Systeme (leider ein Spritfresser) konnte sich bis
heute bei „echten“ Allradfahrzeugen behaupten.
Erst der Beginn einer epochalen Entwicklung
Noch weist der MAN HydroDrive®-Antrieb einige Nachteile auf, welche
jedoch künftig behoben werden können. Erstens verfügt der Hydraulikantrieb
über keinerlei Sperre, wodurch in Extremfällen nur ein Vorderrad wild
durchdreht, während das andere stehen bleibt. Ein Ausgleichs/Sperrventil
zwischen beiden Radantrieben, das elektrisch via ABS und Traction-Control
anspricht, könnte den Mangel beheben. MAN hat nicht aus Zufallsgründen die
maximale Geschwindigkeit auf 28 km/h begrenzt. Hydro-Drive darf auch auf
keinen Fall permanent (Baugruben, Wüstensand und dergleichen) in Betrieb
sein, weil sich das Hydrauliköl zu schnell und zu stark erhitzt.
Zusatzkühler könnten dem zwar abhelfen – aber das physikalische Gesetz der „Oelgeschwindigkeit“
setzt hier ähnlich scharfe Grenzen wie die sogenannte „Rumpfgeschwindigkeit“
eines Bootes.
Natürlich liesse sich auch das austricksen, aber mit einem absolut
unverhältnismässigen Aufwand. Nicht nur die Oelpumpe müsste entsprechend
grösser, sondern auch die Leitungen und vor allem die Radnabenmotoren
müssten grösser dimensioniert sein. Damit nähern wir uns bezüglich Gewicht
und Kosten bereits wieder dem herkömmlichen Systemen. Hinzu kommt noch der
Platzbedarf in den Hydro-Antriebsrädern bezüglich Oelmotorgrösse,
Felgendurchmesser und Bremsscheiben. Diese „Weiterentwicklung“ und die
Übernahme in den PW-Allradsektor dürften also noch etwas auf sich warten
lassen. Der MAN-Radnabenmotor funktioniert übrigens ähnlich wie ein
Sternmotor ohne Pleuel, siehe Grafik. Bleibt der Antriebs-Oeldruck aus,
werden die einzelnen Kolben mit Federn in die Nullstellung gedrückt, wodurch
ein Loserad entsteht. Also analog zur manuell verriegelbaren Vorderradnabe
bei PW-Geländewagen.
Noch ein MAN-Highlight
Der HydroDrive® ist aber nicht die einzige Sensation, mit der MAN
aufwarten kann. Völlig neuartig ist auch die verschleisslose Motorbremse
namens „Pritarder“. Der Pritarder von MAN oder Aquatarder, wie ihn sein
Hersteller Voith vermarktet, ist eine hydrodynamische Bremse, die im
Gegensatz zu herkömmlichen Retardern direkt mit der Wasserpumpe in den
Kühlkreislauf des Motors integriert ist (im Prinzip ein umgekehrt
arbeitender Drehmomentwandler). Somit arbeitet der Retarder, der direkt mit
der Kurbelwelle des Fahrzeugmotors verbunden ist, auch mit dem Kühlmittel
des Motors. Die anfallende Bremswärme wird über das Fahrzeugkühlsystem
abgeführt. Der Pritarder übernimmt gleichzeitig die Funktion der bisher über
Keilriemen angetriebenen Wasserpumpe.
Ein weiterer Vorteil ist die Wartungsfreiheit des Aquatarder-Systems. Durch
den Einsatz des Pritarders werden keine Ölwechsel erforderlich. Ein weiterer
Vorteil ist das geringe Gewicht von nur 32 kg, was 60 kg Differenz zu
herkömmlichen Systemen ausmacht. Wie bei jedem hydrodynamischen Retarder
stehen auch beim Aquatarder Schaufelräder einander gegenüber: Der Rotor und
der Stator – nur befindet sich zwischen ihren Kammern das Kühlwasser des
Motors (und nicht wie bei herkömmlichen Retardern oder Intardern
Hydraulikoel). Der Rotor sitzt fest auf der Kurbelwelle, der Stator ist fest
mit dem Pritardergehäuse und damit mit dem Motorblock verbunden. Der über
die Kurbelwelle angetriebene Rotor beschleunigt das Wasser, das im Stator
verzögert wird.
Damit werden der Rotor und gleichzeitig die Kurbelwelle des Motors gebremst,
die dabei entstehende Wärme landet ohne Umwege im Kühlwasser des Motors.
Analog zur Antriebsleistung des Motors lässt sich die Bremsleistung dieses
Systems mit Hilfe der Getriebeübersetzungen verstärken. Schwerlastspediteure
werden aufhorchen: Bei Geschwindigkeiten um etwa 10 km/h im zweiten Gang
stehen bis zu 30.000 Nm (!) Bremskraft zur Verfügung.
Schmal und kräftig und niedrig
Die seit 1948 existierende Firma Hurschler Transport AG, Engelberg,
hat sich für einen MAN entschieden: 2300 mm Breite und MAN HydroDrive® haben
das Rennen entschieden. Der neue MAN im Fuhrpark ermöglicht optimale
Einsatzflexibilität, da er für ein spürbares Plus an Traktion an der
Vorderachse sorgt. Die Breite von 2300 mm sorgt für weitere Vorteile –
gerade bei Arbeitseinsätzen an schwer zugänglichen Orten, wie sie auf dem
Bau und im Wald oft vorkommen.
Beim neuen MAN HydroDrive® handelt es sich um einen TGS 26.440 6x4H- 4 BL
mit 440 PS (324 kW), Euro-5-SCR-Motor mit einem Drehmoment von 2100 Nm. Der
LW verfügt über ein ZF 16-Gang-Getriebe mit MAN BrakeMatic.
Wie Walter Hurschler Swissmotor erklärte, war die Suche nach einem
geeigneten Fahrzeug nicht ganz einfach. Nicht nur die heute unübliche
Fahrzeugbreite von 2,30 Metern, sondern auch der Radstand und die Gesamthöhe
sowie ein Allradantrieb diktierten ohne wenn und aber das Pflichtenheft.
Engelberg liegt in der Gebirgsregion und die ist für ihre engen und steilen
Strässchen bekannt. Nach anfänglicher Skepsis ist Hurschler inzwischen vom
neuen MAN begeistert. Zu den Hauptaufgaben der Hurschler Transport AG zählen
Transporte im Baugewerbe mit Schwerpunkt Kran- und Greiferarbeiten. Aber
auch bei Holztransporten und Arbeiten im Gartenbau ist Hurschler Transport
AG zuhause.
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Allradantrieb ohne Verteiler-getriebe, ohne Kardanwelle, Achswellen und
Differential.
1: Radnabenmotor,
2: Zu- und Rückleitung des Hydraulikoels,
3: Oelpumpe mit Vorratsbehälter.
Stark vereinfachtes Schema des Achtzylinder-Radnabenmotors von MAN. Je nach
Zuflussrichtung des Hydraulikoels dreht das Rad vor- oder rückwärts.
Beim neuen 6x4 MAN TGS Kipper von Walter Hurschler in Engelberg würde nicht
einmal der Fachmann erkennen, dass das Fahrzeug über zuschaltbaren
Vorderradantrieb verfügt, weil das Fehlen von Achswellen und Differential eine
niedrige (Normal)Bauhöhe erlaubt.
Das Arbeitsumfeld in Engelberg spricht für sich selbst. Nicht nur das Ladegut
ist strapaziös, auch die Gegend ist es. Gerade Letzteres diktierte die
Gesamthöhe, Achsabstand und Breite des Gefährts. Permanenter Allradantrieb ist
nicht zwingend notwendig, aber MAN HydroDrive® als Anfahrhilfe sozusagen das „Ei
des Kolumbus“.
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