Super-Alternative von MAN für Allradantrieb
Warum nicht auch im PW-Sektor?

Ruedi Baumann

BPZ / 06.04.09 / Was tun, wenn man nur gelegentlich im Gelände fährt und dort mehr Traktion benötigt als auf der Strasse? Gibt es eine wirkliche Alternative zum herkömmlichen Allradantrieb? Ja, es gibt sie. Nämlich den zuschaltbaren Vorderradantrieb MAN HydroDrive®, den die Marke mit dem Löwen exklusiv anbietet. Verglichen mit klassischen 4x4-, 6x6- oder 8x8-Allradfahrzeugen ist dieses Antriebssystem völlig anders konzipiert und bietet nebst einer geringeren Gesamthöhe des Fahrzeugs eine verblüffende Reihe von Vorteilen.

Mehr Traktion im „Handumdrehen“

So funktioniert es: Der Chauffeur schaltet MAN HydroDrive® manuell per Drehschalter zu, so dass hydraulische Radnabenmotoren an der Vorderachse für ein deutlich spürbares Plus an Traktion sorgen. In dieser Betriebsart kann der Lastwagen bis zu 28 km/h schnell fahren. Bei höheren Geschwindigkeiten schaltet sich das System automatisch ab, und das Fahrzeug wird wie gewohnt über die Hinterräder angetrieben. Bleibt die Funktion manuell eingeschaltet, setzt der Antrieb auf die Vorderräder ab -22 km/h automatisch wieder ein. Ein typisches Beispiel sind Bausektorfahrzeuge, die zu 90 Prozent auf asphaltierten Strassen unterwegs sind, weil sie Kies von weit her holen. Erst beim Abladen auf der Baustelle macht es Sinn, den Antrieb zuzuschalten. Es ist bereits eine ganze Reihe von MAN-Lastwagen mit HydroDrive® in der Schweiz unterwegs - und zwar klaglos in den unterschiedlichsten Transportbereichen.

Wichtige Unterschiede

Das Einsatzgebiet des MAN HydroDrive®-Antriebs unterscheidet sich jedoch grundlegend von den konventionellen Allradantrieben und ist eher als praktische Anfahrhilfe zu sehen, die in vielen Fällen aus «dem Dreck» hilft und so unabhängig macht von Hilfsaktionen Dritter, die alle Beteiligten Zeit und Geld kosten. Der herkömmliche Allradantrieb mit durchgehender Vorderachse, Differential, Kardanwelle, Verteilergetriebe und Geländereduktion offeriert demgegenüber optimale Traktion bis Tempo 80, was gerade im Schwertransport und beim «Zügeln» gewichtiger Baumaschinen unumgänglich ist. Vor dem Gesetz ist der HydroDrive® kein „Allradfahrzeug“ und darf demzufolge auch keine höheren Anhängelasten befördern.

Sind beim herkömmlichen Allradantrieb rund 38 Grad Lenkeinschlag normal, so bringt es ein MAN HydroDrive® auf satte 49 Grad. Der niedrigere Schwerpunkt, die tiefere Rahmenoberkante und die Gewichtseinsparung von rund 400 Kilogramm (!) sind weitere Vorteile, durch die sich u.a. der Kraftstoffverbrauch um rund 10 Prozent verringert. Im Fahrbetrieb, so zum Beispiel auf der Autobahn, verhält sich ein Lastwagen mit MAN HydroDrive® auch spürbar ruhiger und spurtreuer als ein hoch aufgebauter «Allrader» mit stets bewegter grosser Masse an der Vorderachse.

Auch für SUV denkbar

Im PW-Sektor hat man seit dem Aufkommen von Allradantrieb so ziemlich alles durchexerziert, angefangen bei permanentem bis zuschaltbaren 4WD.
Aber stets mit Achs- und Kardanwellen plus Vorder- und Hinterachsdifferential. Die einfachste und beste Lösung waren manuell verriegelbare Vorderachsnaben, was aber zwangsläufig mit bestimmten Manipulationen des Fahrers verbunden war. In unverriegeltem Zustand waren es „Loseräder“ wie bei Normalautos. Bei Verriegelung drehten Achswelle und Kardanwelle bis zum Verteilergetriebe mit, wodurch bei jeder Geschwindigkeit der Antrieb von zwei auf vier Räder zugeschaltet werden konnte.

Dann folgte die idiotischste aller Erfindungen, die automatischen Freilaufnaben. Beim „Freischaukeln“ eines im Schnee oder Dreck steckengebliebenen Wagens erfolgte schon sehr bald ein scharfer Knall und die Freilaufnaben waren hinüber. Danach folgten manuell oder automatisch zuschaltbare Allradantriebe mit den unterschiedlichsten Zuschaltmechanismen plus teilweise Zwischendifferentialsperren. Der permanente Allradantrieb, das bewährteste aller Systeme (leider ein Spritfresser) konnte sich bis heute bei „echten“ Allradfahrzeugen behaupten.

Erst der Beginn einer epochalen Entwicklung

Noch weist der MAN HydroDrive®-Antrieb einige Nachteile auf, welche jedoch künftig behoben werden können. Erstens verfügt der Hydraulikantrieb über keinerlei Sperre, wodurch in Extremfällen nur ein Vorderrad wild durchdreht, während das andere stehen bleibt. Ein Ausgleichs/Sperrventil zwischen beiden Radantrieben, das elektrisch via ABS und Traction-Control anspricht, könnte den Mangel beheben. MAN hat nicht aus Zufallsgründen die maximale Geschwindigkeit auf 28 km/h begrenzt. Hydro-Drive darf auch auf keinen Fall permanent (Baugruben, Wüstensand und dergleichen) in Betrieb sein, weil sich das Hydrauliköl zu schnell und zu stark erhitzt. Zusatzkühler könnten dem zwar abhelfen – aber das physikalische Gesetz der „Oelgeschwindigkeit“ setzt hier ähnlich scharfe Grenzen wie die sogenannte „Rumpfgeschwindigkeit“ eines Bootes.

Natürlich liesse sich auch das austricksen, aber mit einem absolut unverhältnismässigen Aufwand. Nicht nur die Oelpumpe müsste entsprechend grösser, sondern auch die Leitungen und vor allem die Radnabenmotoren müssten grösser dimensioniert sein. Damit nähern wir uns bezüglich Gewicht und Kosten bereits wieder dem herkömmlichen Systemen. Hinzu kommt noch der Platzbedarf in den Hydro-Antriebsrädern bezüglich Oelmotorgrösse, Felgendurchmesser und Bremsscheiben. Diese „Weiterentwicklung“ und die Übernahme in den PW-Allradsektor dürften also noch etwas auf sich warten lassen. Der MAN-Radnabenmotor funktioniert übrigens ähnlich wie ein Sternmotor ohne Pleuel, siehe Grafik. Bleibt der Antriebs-Oeldruck aus, werden die einzelnen Kolben mit Federn in die Nullstellung gedrückt, wodurch ein Loserad entsteht. Also analog zur manuell verriegelbaren Vorderradnabe bei PW-Geländewagen.

Noch ein MAN-Highlight

Der HydroDrive® ist aber nicht die einzige Sensation, mit der MAN aufwarten kann. Völlig neuartig ist auch die verschleisslose Motorbremse namens „Pritarder“. Der Pritarder von MAN oder Aquatarder, wie ihn sein Hersteller Voith vermarktet, ist eine hydrodynamische Bremse, die im Gegensatz zu herkömmlichen Retardern direkt mit der Wasserpumpe in den Kühlkreislauf des Motors integriert ist (im Prinzip ein umgekehrt arbeitender Drehmomentwandler). Somit arbeitet der Retarder, der direkt mit der Kurbelwelle des Fahrzeugmotors verbunden ist, auch mit dem Kühlmittel des Motors. Die anfallende Bremswärme wird über das Fahrzeugkühlsystem abgeführt. Der Pritarder übernimmt gleichzeitig die Funktion der bisher über Keilriemen angetriebenen Wasserpumpe.

Ein weiterer Vorteil ist die Wartungsfreiheit des Aquatarder-Systems. Durch den Einsatz des Pritarders werden keine Ölwechsel erforderlich. Ein weiterer Vorteil ist das geringe Gewicht von nur 32 kg, was 60 kg Differenz zu herkömmlichen Systemen ausmacht. Wie bei jedem hydrodynamischen Retarder stehen auch beim Aquatarder Schaufelräder einander gegenüber: Der Rotor und der Stator – nur befindet sich zwischen ihren Kammern das Kühlwasser des Motors (und nicht wie bei herkömmlichen Retardern oder Intardern Hydraulikoel). Der Rotor sitzt fest auf der Kurbelwelle, der Stator ist fest mit dem Pritardergehäuse und damit mit dem Motorblock verbunden. Der über die Kurbelwelle angetriebene Rotor beschleunigt das Wasser, das im Stator verzögert wird.

Damit werden der Rotor und gleichzeitig die Kurbelwelle des Motors gebremst, die dabei entstehende Wärme landet ohne Umwege im Kühlwasser des Motors. Analog zur Antriebsleistung des Motors lässt sich die Bremsleistung dieses Systems mit Hilfe der Getriebeübersetzungen verstärken. Schwerlastspediteure werden aufhorchen: Bei Geschwindigkeiten um etwa 10 km/h im zweiten Gang stehen bis zu 30.000 Nm (!) Bremskraft zur Verfügung.

Schmal und kräftig und niedrig

Die seit 1948 existierende Firma Hurschler Transport AG, Engelberg, hat sich für einen MAN entschieden: 2300 mm Breite und MAN HydroDrive® haben das Rennen entschieden. Der neue MAN im Fuhrpark ermöglicht optimale Einsatzflexibilität, da er für ein spürbares Plus an Traktion an der Vorderachse sorgt. Die Breite von 2300 mm sorgt für weitere Vorteile – gerade bei Arbeitseinsätzen an schwer zugänglichen Orten, wie sie auf dem Bau und im Wald oft vorkommen.

Beim neuen MAN HydroDrive® handelt es sich um einen TGS 26.440 6x4H- 4 BL mit 440 PS (324 kW), Euro-5-SCR-Motor mit einem Drehmoment von 2100 Nm. Der LW verfügt über ein ZF 16-Gang-Getriebe mit MAN BrakeMatic.

Wie Walter Hurschler Swissmotor erklärte, war die Suche nach einem geeigneten Fahrzeug nicht ganz einfach. Nicht nur die heute unübliche Fahrzeugbreite von 2,30 Metern, sondern auch der Radstand und die Gesamthöhe sowie ein Allradantrieb diktierten ohne wenn und aber das Pflichtenheft. Engelberg liegt in der Gebirgsregion und die ist für ihre engen und steilen Strässchen bekannt. Nach anfänglicher Skepsis ist Hurschler inzwischen vom neuen MAN begeistert. Zu den Hauptaufgaben der Hurschler Transport AG zählen Transporte im Baugewerbe mit Schwerpunkt Kran- und Greiferarbeiten. Aber auch bei Holztransporten und Arbeiten im Gartenbau ist Hurschler Transport AG zuhause.

 


Allradantrieb ohne Verteiler-getriebe, ohne Kardanwelle, Achswellen und Differential.
1: Radnabenmotor,
2: Zu- und Rückleitung des Hydraulikoels,
3: Oelpumpe mit Vorratsbehälter.


Stark vereinfachtes Schema des Achtzylinder-Radnabenmotors von MAN. Je nach Zuflussrichtung des Hydraulikoels dreht das Rad vor- oder rückwärts.


Beim neuen 6x4 MAN TGS Kipper von Walter Hurschler in Engelberg würde nicht einmal der Fachmann erkennen, dass das Fahrzeug über zuschaltbaren Vorderradantrieb verfügt, weil das Fehlen von Achswellen und Differential eine niedrige (Normal)Bauhöhe erlaubt.


Das Arbeitsumfeld in Engelberg spricht für sich selbst. Nicht nur das Ladegut ist strapaziös, auch die Gegend ist es. Gerade Letzteres diktierte die Gesamthöhe, Achsabstand und Breite des Gefährts. Permanenter Allradantrieb ist nicht zwingend notwendig, aber MAN HydroDrive® als Anfahrhilfe sozusagen das „Ei des Kolumbus“.

 

 


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